Konstruktiver Journalismus in Kriegszeiten
In Europa herrscht Krieg. Trotzdem vermeiden immer mehr Menschen den Nachrichtenkonsum. Dabei brauchen unsere Demokratien gerade jetzt eine informierte Öffentlichkeit. Was können Journalistinnen und Journalisten tun, um die Menschen auch in Kriegszeiten zu erreichen?
Als der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 den Befehl zur Invasion des ukrainischen Staatsgebiets gab, wurde dies weltweit als Beginn des ersten großen Krieges in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg wahrgenommen. Was folgte, war ein Muster, das in der Berichterstattung über Kriege wiederkehrend ist: Nach einer anfänglich intensiven Phase mit Sondersendungen, Social Media Hype, Live-Tickern und täglichen Aufmachern schwächte sich nach einigen Wochen der Umfang der Berichterstattung etablierter Medien wieder merklich ab – analog zum messbar sinkenden Interesse des Publikums.
„Wenn es nach den Klickzahlen ginge, könnten wir die Ukraine-Berichterstattung gleich wieder einstellen“, konstatierte etwa vier Wochen nach Beginn der russischen Invasion der Chefredakteur einer westdeutschen Regionalzeitung. Ende Mai 2022 publizierte der Tracking-Dienst „NewsWhip Daten“, wonach die weltweite Zahl der Interaktionen in den Sozialen Medien (Likes, Kommentare, Shares) zu Nachrichtenartikeln über den Krieg in der Ukraine im Vergleich zu Ende Februar dramatisch zurückgegangen war: um das 22-fache, von 109 Millionen auf 4,8 Millionen.
„Nach 100 Tagen Ukraine-Krieg schaut die Welt woanders hin“ schrieb der US-Dienst „Axios“ damals über das nachlassende Publikumsinteresse. „Vergesst die Ukraine nicht“ appellierte die Autorin Samira El Ouassil an die Leser*innen des SPIEGEL. Und die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock erklärte bei einem Treffen des Ostseerates am 25. Mai 2022 auf Englisch: „Wir haben einen Moment der Fatigue erreicht.“
Für die erste qualitative Studie des Bonn Institutes habe ich im Sommer 2022 – zusammen mit meiner Kollegin Katja Ehrenberg – divers zusammengesetzte Nachrichtennutzende gefragt, wie Informationen aussehen sollen, damit sie nicht „abschalten“. Ich habe gefragt, welche Wünsche sie haben und habe Beispiele zusammengetragen wie konstruktive Kriegs- und Krisenberichterstattung aussehen könnte. Außerdem habe ich mit vielen Journalist*innen darüber gesprochen, was sie unter Konstruktiven Journalismus verstehen und was es bräuchte, damit noch mehr Redaktionen genau das noch mehr als bisher umsetzen.
Der Digital News Report des Reuters Institute for the Study of Journalism führt jedes Jahr vor Augen, wie die Nachrichtenvermeidung weltweit zunimmt, weil die Menschen von „Only bad news are good news“ zunehmend abgeschreckt und überfordert sind. Deshalb spürt man, meiner Wahrnehmung nach, in vielen Medienhäusern ein Umdenken und das Thema wird zunehmend ernst genommen. Das Bonn Institute bietet immer wieder Online-Kurse an, um sich niedrigschwellig mit dem Thema vertraut zu machen. Außerdem kann man dort als Redaktion Workshops buchen (online und offline), um sich weiterzubilden.
Beim ersten b° future festival für Journalismus und konstruktiven Dialog am 15. / 16. September 2023 sind wir mit DEINE KORRESPONDENTIN ebenfalls mit einer Ausstellung und einer Lesung vertreten. Wir freuen uns auf viel konstruktiven Austausch, interessante Begegnungen und wenn noch mehr Journalist*innen darüber nachdenken, wie man konstruktiver in Krisenzeiten berichten kann, um möglichst viele Menschen mit qualitativ hochwertigen Inhalten zu erreichen.